Wie Du ein Verbündeter im Kampf gegen sexualisierte Gewalt und Diskriminierung wirst
Text: Lena Spickermann
Dieser Artikel richtet sich in erster Linie an Männer, die an Universitäten arbeiten oder studieren. Jedoch können die Informationen auch für Studierende und Mitarbeiter*innen anderen Geschlechts von Interesse sein.
Sexualisierte Belästigung und Gewalt wie auch Benachteiligung aufgrund des Geschlechts sind keine Einzelphänomene, vor denen wir mit Eintritt in ein Studium oder eine wissenschaftliche Laufbahn bewahrt bleiben. Auch an Universitäten werden vor allem Frauen und LSBTTIQ-Personen (diese Abkürzung steht für Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Transsexuell, Transident, Intersexuell, Queer) regelmäßig mit ihnen konfrontiert. Die Annahme, dass Universitäten als Zufluchtsorte des Wissens und der Bildung, frei von Sexismus und Misogynie seien, führt zu einer Verharmlosung und Verhüllung von Fällen, in denen es zu sexualisierter Gewalt bzw. Belästigung, oder aber geschlechtsspezifischer Benachteiligung gekommen ist. Derartige Mythen lassen die Betroffenen für ihre Erfahrungen selbst verantwortlich erscheinen. So werden sie zur eigentlichen Ursache des Problems erklärt, etwa, wenn sie sich zu auffällig gekleidet bzw. verhalten haben. Oder aber ihnen wird unterstellt, eine vermeintlich harmlose Situation – zum Beispiel den sexistischen Herrenwitz des Professors – aufgrund der eigenen Humorlosigkeit missverstanden zu haben.
Solche Erlebnisse bestärken das Problem der mangelnden Sichtbarkeit von Betroffenen, trauen sich diese oftmals nicht, ihre Erfahrungen publik zu machen, oder erliegen selbst dem Irrglauben, grenzüberschreitende Handlungen falsch- oder gar überinterpretiert zu haben. Die genannten Mythen täuschen über die strukturelle Verbreitung von Phänomenen wie sexualisierte Gewalt oder geschlechtsspezifische Benachteiligung hinweg. Grund dafür ist eine bereits in der Sozialisation verankerte Ungleichbehandlung von Männern und Frauen sowie Menschen, die diesem binären Differenzschema nicht entsprechen: Männer verdienen im Durchschnitt 21 Prozent mehr als Frauen, bekleiden prestigeträchtigere Jobs und höhere berufliche Positionen und übernehmen im Vergleich zu Frauen nur einen geringen Teil der unbezahlten Care-Arbeit. Weiblich typisierte Eigenschaften werden männlichen unterstellt und gelten auch heute noch als ablehnenswert – ein Eingeständnis von Schwäche oder Emotionalität ist in vielen Bereichen der Gesellschaft für Männer tabu. Auch der Universitätsalltag wird von einem komplexen, hierarchischen Netz durchzogen, das Abhängigkeiten schafft und vor allem Studentinnen und Mitarbeiterinnen benachteiligt und zuletzt in gegen sie gerichtete sexualisierte Belästigung und Gewalt münden kann.
Um diese Problematik sichtbar werden zu lassen und dem immerwährenden Stempel des individuellen Einzelphänomens ein für alle Mal abzuschwören, ist es wichtig, dass nicht nur die (potenziell) Betroffenen ihre Stimmen erheben und auf die Diskriminierung und sexistischen Strukturen an Universitäten aufmerksam machen.
Um das Problem der sexualisierten Gewalt und Belästigung wie auch der geschlechtsspezifischen Benachteiligung zu überwinden, ist es vor allem wichtig, dass männliche Studenten und Mitarbeiter bzw. Studierende, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft und/oder Sexualität privilegiert sind, zu Verbündeten im Kampf gegen sexistische Strukturen an Universitäten werden.
Da das auf den ersten Blick nicht immer einfach erscheint, möchte Unser Campus im Folgenden 10 Punkte zur Orientierung an die Hand geben:
1. Werde ein guter Zuhörer
Deine Freundin erzählt Dir von einem Kommilitonen, der sie bedrängt und ihre persönlichen Grenzen überschreitet. In solchen und ähnlichen Situationen ist es wichtig, ihre Erfahrungen so stehen zu lassen, ihr zunächst nur zuzuhören, Verständnis zu zeigen und Glauben zu schenken. Dränge Dich ihr nicht gleich mit einem Rat auf und zweifele nicht an der Glaubwürdigkeit des Erzählten. Es ist bereits ein großer Schritt, dass Du ins Vertrauen gezogen wurdest, also versuche auszuloten, was Dein Gegenüber in diesem Moment am dringendsten braucht. Sollte es dann doch der gut gemeinte Rat sein, kannst Du diesen im Nachhinein immer noch äußern.
2. Ja heißt Ja (und Nein heißt Nein)
Gerade Universitäten sind Orte, an denen klar definierte Hierarchien vorherrschen und die Angst vor den möglichen Nachteilen aufgrund eines Sich-zu-Wehr-setzens gegen sexualisierte Gewalt und Belästigung oder gegen geschlechtsspezifische Benachteiligung groß ist. So kann es auch sein, dass Dein Gegenüber Dir nicht immer ihre*seine persönlichen Grenzen aufzeigt. Gerade deswegen ist es wichtig, dass Du nicht erst auf ein aktiv geäußertes Nein wartest, sondern Dich vorab erkundigst, ob es z. B. okay ist, wenn Du Deiner Kommilitonin bei der nächsten Semesterparty einen Drink spendierst oder sie mit nach Hause begleitest. Auch im Unialltag empfiehlt sich ein konsensorientierter Umgang. Beispielsweise kannst Du Dich bei Deiner*m Kommiliton*in versichern, ob ihr*ihm ein privates Treffen bei Dir zu Hause zwecks der Vorbesprechung eines Referates recht ist, oder lieber doch eine Alternative, wie z. B. ein Café, gewählt werden sollte.
3. Übe Dich in Selbstreflexion
Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass niemand frei von Sexismus oder anderen Diskriminierungsformen ist. Oft sind wir uns im Moment des Geschehens nicht bewusst, dass unsere Taten oder Worte die persönlichen Grenzen eines*r Anderen verletzen. Erst im Nachhinein wird dann klar, dass der gerade noch geäußerte Kommentar sexistisch oder die körperliche Geste bedrängend war. Diese Einsicht ist Gold wert, da Du es somit beim nächsten Mal besser weißt und Dein Verhalten dementsprechend ändern kannst. Aber um zu diesem Wissen zu gelangen, ist es erforderlich, dass Du Dich regelmäßig selbstreflektierst und auch festeingespielte Verhaltensweisen überprüfst.
4. Entschuldige Dich
Wenn Du feststellst, dass Du Dich dennoch grenzüberschreitend geäußert und/oder verhalten hast, ist es wichtig, Dich zu entschuldigen. Also springe über Deinen Schatten und signalisiere Deinem Gegenüber, dass Du Dir über Dein Fehlverhalten bewusst und gewillt bist, es nicht nochmal so weit kommen zu lassen.
5. Weggucken ist keine Option
Nicht selten kommt es vor, dass Kommiliton*innen, Lehrende oder Arbeitskolleg*innen die persönlichen Grenzen Anderer missachten. Das kann der Kommilitone sein, der den Wortbeiträgen einer Seminarteilnehmerin mit sexistischen Kommentaren begegnet und sie kategorisch degradiert, aber auch der Professor, der aufgrund seiner Position im universitären Machtgefüge nicht vor frauenverachtenden Kommentaren zurückschreckt. In diesen und anderen Fällen bist Du gefragt! Es ist keine Option, wegzugucken oder nicht hinzuhören. Gerade weil es den Betroffenen selten möglich ist, sich allein zur Wehr zu setzen ¬– sei es, weil ihren Worten kein Gehör geschenkt wird, sie selbst nicht anwesend sind oder sie Angst vor den Konsequenzen haben – ist es wichtig, dass Du ein solches Verhalten nicht unkommentiert lässt. Dazu reicht manchmal auch schon eine kurze Bemerkung, in der Du verdeutlichst, dass ein solcher Spruch oder eine solche Handlung nicht tolerierbar ist. Wenn Du stillschweigst, sorgst Du dafür, dass sexistische Strukturen weiterhin bestehen bleiben.
6. Informiere dich
Für viele Betroffene von Sexismus, sexualisierter Gewalt und sexualisierter Belästigung kann es entmutigend und verletzend sein, immer wieder von neuem auf das strukturelle Problem der sexualisierten Gewalt sowie der geschlechtsspezifischen Benachteiligung an Universitäten und andernorts aufmerksam machen und ausführen zu müssen, was dies beinhaltet. Werde selbst aktiv, indem Du im Internet recherchierst, (außer-)universitäre Veranstaltungen besuchst oder Literatur in der Bibliothek ausleihst. Um ein Verbündeter zu werden, ist es nämlich nicht nur wichtig, dass Du Dein eigenes Verhalten immer wieder hinterfragst und gegebenenfalls änderst, sondern auch, dass Du Deine Stimme erhebst und zum Experten wirst. So kannst Du in relevanten Situationen, etwa, wenn Dein*e Professor*in das Problem der sexualisierten Gewalt verharmlost, schnell mit Faktenwissen aufwarten und ein Zeichen setzen.
7. Frage nach
Es ist nicht empfehlenswert, dass Du im Falle von sexualisierter Gewalt und Belästigung oder geschlechtsspezifischer Benachteiligung unmittelbar mit großen Gesten aufwartest, ohne vorher das Einverständnis der*des Betroffenen eingeholt zu haben. Auch wenn Du es z. B. für erforderlich hältst, die sexualisierten Gewalterfahrungen Deiner Freundin öffentlich zu machen oder die für die Belästigung/Gewalttat verantwortliche Person zur Rede zu stellen, ist es wichtig, dass Du ihre persönlichen Bedürfnisse berücksichtigst und nicht Deine eigenen Maßstäbe zum Ausgangspunkt machst.
8. Zeige Präsenz
Es ist schon spät und Du merkst, wie sich jemand in der U-Bahn durch die Gegenwart oder Handlung einer anderen Person sichtlich unwohl fühlt, bist Dir aber nicht sicher, ob ein unmittelbares Eingreifen bereits gerechtfertigt ist. In derartigen Momenten ist es wichtig, dass Du nicht zusätzlich zu ihrem*seinem Unwohlsein beiträgst, sondern vermittelst, dass Du bereit bist, ihr*ihm zur Seite zu stehen. Das kann durch einen kurzen Blickkontakt oder eine Geste geschehen.
9. Hole Dir Unterstützung
Es ist niemanden damit geholfen, wenn Du Deine eigenen Grenzen überschreitest. Solltest Du in Situationen geraten, mit denen Du nicht umzugehen weißt, kannst Du Dir jeder Zeit Rat bei offiziellen Beratungsstellen holen. So kannst Du Dich z. B. an die Zentrale Gleichstellungsbeauftragte oder aber an die Studentische Gleichstellungsbeauftragte Deiner Universität wenden. Sollte Dir zum Beispiel aufgefallen sein, dass ein Professor sexualisiert belästigende Verhaltensweisen aufweist, Du Dich aber nicht traust, Dich aktiv gegen ihn zu positionieren, kannst Du Dich an diese Stellen wenden, ohne dabei direkt die Namen der Betroffenen nennen zu müssen. In Situationen, in denen Du Zeuge einer öffentlichen sexualisierten Gewalthandlung oder Belästigung wirst, aber nicht wagst, aufgrund des Gefahrenpotenzials der Situation, selbst einzuschreiten, solltest Du nicht davor zurückschrecken, Umstehende gezielt anzusprechen oder direkt die Polizei einzuschalten.
10. Sei Dir über das Zusammenspiel unterschiedlicher Diskriminierungsformen bewusst
Nicht immer tritt Sexismus gesondert auf. Sich dies bewusst zu machen, ist wichtig, um zu erkennen, dass die strukturellen Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und Belästigung sowie mit geschlechtsspezifischer Benachteiligung nicht von allen Menschen gleich erlebt werden, sondern, dass sie mit anderen Diskriminierungsformen wie Rassismus oder Ableismus (Diskriminierung aufgrund von Behinderung) einhergehen können. Dieser Umstand erfordert eine erhöhte Sensibilisierung für die unterschiedlichen Erfahrungen und Bedarfe der Betroffenen von sexualisierter Gewalt und Belästigung.