Eine Universität für Alle – Wie kommen wir dahin?

Dieser Artikel entstand im Rahmen des Seminars „Toxic Masculinity, Femizid, Kindsmörderin – Das Verhältnis von Gewalt und Geschlecht – eine Einführung“ (SoSe 2020).

Autorin: Lena Spickermann

42.954 Studierende sind aktuell an der Ruhr-Universität Bochum eingeschrieben wie der Webseite der Hochschule zu entnehmen ist. In dieser auf den ersten Blick schwindelerregend hohen Anzahl, sind noch nicht die dauerhaft Beschäftigten, ausländischen Studierenden, international Promovierenden und die Gäste der RUB inbegriffen. Sie alle finden Platz auf einem weitläufigen Campusgelände, das für sich genommen fast wie eine eigene Miniatur-Stadt anmutet, in der man leicht die Orientierung verlieren kann. Führt man sich diese Ausmaße vor Augen, wird schnell klar, dass es sich hier nicht allein um gleichgesinnte und Personen mit demselben Wissensstand handeln kann. Man kann im Anbetracht dieser Vielzahl wohl eher davon ausgehen, dass diese einen Querschnitt der Gesamtgesellschaft bilden, die sich durch eine Vielfalt von demografischen Eigenschaften, Einstellungen, Interessen und Positionen auszeichnet.

 

Als weitere Konsequenz folgt, dass auch und insbesondere Universitäten nicht von sexualisierter Belästigung, Gewalt, Benachteiligung und unterschiedlichen Formen der Diskriminierung befreit sind. Dieses „insbesondere“ ist einerseits dem Selbstverständnis von Universitäten als Orte des Wissens und der Aufklärung geschuldet. Sie sehen sich in dieser Rolle losgelöst von sozialen Problemstellungen wie etwa sexualisierter Gewalt und rücken diese damit aus dem öffentlichen Blickfeld. Andererseits und damit zusammenhängend besteht häufig sowohl bei den Betroffenen als auch bei den Ausübenden von sexualisierter Belästigung, Gewalt und Diskriminierung ein geringes Bewusstsein für derartige Phänomene – sie sind sich zum einen nicht der Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse, die an Universitäten sehr stark ausgeprägt sind, bewusst, oder erkennen die eigenen und die Grenzen anderer nicht (rechtzeitig), sodass es zu deren Überschreitung kommt. Ebenso spielen strukturelle Ungleichheiten eine wesentliche Rolle, die sich bspw. an den Kategorien Geschlecht, Klasse, Herkunft, Sexualität wie auch Geschlechtsidentität ablesen lassen. Sie führen dazu, dass gerade Frauen sexualisierte Gewalt, Belästigung und Benachteiligung erleben. Die (potentielle) Betroffenheit kann sich in Kombination mit den weiteren Ungleichheitsfaktoren außerdem verstärken, sodass z.B. Women of Color oder nicht-binäre Personen einer besonderen Gefahr ausgesetzt sind.

Ohne Zweifel ergibt sich daraus eine umfassende Verantwortung der Universitäten gegenüber ihren Studierenden und Mitarbeiter*innen wie auch ein dringender Handlungsbedarf zur Bekämpfung von sexualisierter Gewalt, Belästigung und Diskriminierung. Doch ist es mit dieser Erkenntnis nicht getan. Wichtiger noch sind die Schritte, die zu diesem Ziel hinführen können und dieses nicht zu einem leeren Lippenbekenntnis verkommen lassen. Neben schon bestehenden Ansätzen und Maßnahmen sollen an dieser Stelle weitere Vorschläge für Präventions- und Awareness-Strategien vorgestellt werden. Aufgrund der studentischen Perspektive, aus der heraus dieser Artikel geschrieben wird, ergeben sich daraus bestenfalls neue Impulse und Implikationen für die Prävention und den Umgang mit sexualisierter Gewalt, Belästigung und Diskriminierung an Hochschulen:

Viele Strategien, die sexualisierter Gewalt und Belästigung vorbeugen sollen, richten sich vor allem an die (potentiell) Betroffenen. Sie bekommen in diesem Zuge Techniken und Verhaltensweisen handgereicht, die ihrem Selbstschutz dienen sollen. Führt man sich vor Augen, dass eine Bewältigung von sexualisierter Gewalt und Belästigung nur durch einen kulturellen Wandel – die Überwindung von Diskriminierungsformen wie u.a. Sexismus und Misogynie – bewirkt werden kann, bedarf es aber eines ganzheitlichen Problemlösungsansatzes, der alle Mitglieder der Universität miteinschließt. Dabei müssen auch und gerade die (potentiell) Ausübenden von sexualisierter Gewalt, Belästigung und Diskriminierung explizit adressiert werden – Studenten, Mitarbeiter und Professoren der Universität. Wichtig dabei ist es, allen gleichermaßen mit den dafür zu Verfügung stehenden Mitteln ein Bewusstsein für unterschiedliche Formen der Ungleichbehandlung und darauf fußender sexualisierter Belästigung und Gewalt zu erwecken. Dem ist außerdem im gegenseitigen Umgang eine allgemeingültige Handlungsorientierung des Konsenses hinzuzufügen, die dazu aufruft, die persönlichen Grenzen des Gegenübers zu erfragen und ebenso zu respektieren. Beide Aspekte müssen über verschiedene Wege und Kanäle vermittelt und nachhaltig gefestigt werden.

 

Awareness schaffen 

Denkbar wäre eine verpflichtende Veranstaltungsreihe für Studienanfänger*innen (Bachelor und Master) aller Studiendisziplinen, die von unterschiedlichen Akteur*innen aus dem Hochschulkontext (Mitarbeiterin von ‚Unser Campus‘, zentrale Gleichstellungsbeauftragte, Lehrende der Gender Studies, Ansprechpartner*in für trans* und inter* Personen, Lehrende aus der Kriminologie etc.) ebenso wie aus externen Anlaufstellen (Betroffenenberatungsstellen wie auch lokale Organisationen, die sich bemühen, männlich gelesene Eigenschaften, die zu sexistischer Diskriminierung führen können, abzubauen) geführt wird. Um einen disziplinübergreifenden Erfahrungsaustausch zu gewährleisten und die Entstehung von unterschiedlichen Umgangs- und Akzeptanzweisen von sexualisierter Gewalt, Belästigung und Diskriminierung zu vermeiden, sollten diese Veranstaltungen zentral stattfinden. Koordinierungsherausforderungen könnten durch eine Kombination von On- und Offline-Formaten gelöst werden, mit dem Ziel allen Studierenden ein möglichst alltagspraktisches Bewusstsein für sexualisierte Gewalt, Belästigung und Diskriminierung wie auch für einen konsensorientierter Umgang zu vermitteln.

Diese Zielsetzung setzt außerdem einen öffentlichkeitsnahen, über die Universität hinausweisender Austausch voraus. Über diesen werden u.a. Studieninteressierten die Prinzipien der Universität in der Überwindung von Diskriminierungen, sexualisierter Gewalt und Belästigung vermittelt. Für eine geschlossene Repräsentation der Universität als entschlossene Kämpferin gegen jedwede Diskriminierung und sexualisierte Gewalt oder Belästigung bedarf es eines Veranstaltungskonzepts, dass die Vielstimmigkeit des Hochschulbetriebes widerspiegelt und Vertreter*innen einzelner Bereiche zu Wort kommen lässt. So könnte etwa eine Podiumsdiskussion mit Beschäftigten aus der Kampagne ‚Unser Campus‘, dem Asta, der psychologischen Studienberatung, der OASE, des Hochschulsports, des zentralen Gleichstellungsbüros, aber auch dezentrale Gleichstellungsbeauftragte einzelner Disziplinen aus ihrem Berufsalltag im Zusammenhang mit dem Thema sexualisierte Gewalt, Belästigung und Diskriminierung berichten. Darauffolgend könnten sie geeignete Lösungsstrategien im Sinne einer ‚Hochschule für Alle‘ aus ihren jeweiligen Blickwinkeln aufzeigen.

 

Ein breites Workshopangebot

Eine weitere Strategie, die auf unkomplizierte, aber ebenso effektive Weise für eine konsensorientierte Begegnung zwischen Studierenden plädiert und auf Formen sexualisierter Gewalt, Belästigung und Diskriminierung hinweist, ist die universitätsweite Aushändigung von Infomaterial an Studienanfänger*innen, Besucher*innen von Hochschulparties und Bewohner*innen von AKAFÖ-Studierendenwohnheimen. Dies kann in sogenannte Goodie-Bags zusammen mit anderen Materialien und Geschenken integriert werden, sodass die Gefahr einer vorschnellen Entsorgung minimiert wird. Neben Handreichungen, die auf das Problem der sexualisierten Gewalt, Belästigung und Diskriminierung im allgemeinen hinweisen, sollten darin auch Broschüren enthalten sein, die Studenten vermitteln, wie sie zu verantwortungsvollen Allies werden und vor allem Studentinnen und LSBTQI-Studierende Anlaufstellen für Betroffene von sexualisierter Gewalt und Belästigung aufzeigen.

Neben vereinzelten angeleiteten Workshop-Angeboten zur Stärkung des Selbstvertrauens von Studentinnen wäre die Einrichtung eines langfristig angelegten (digitalen) Austauschraums wünschenswert. In diesen erhalten Studentinnen und LSBTQI-Studierende die Möglichkeit, in geschützter Atmosphäre über eigene Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt, Belästigung und Diskriminierung zu sprechen und so einen gemeinsamen Erfahrungshorizont zu bilden. Parallel dazu könnte die Etablierung eines regelmäßigen Treffens zwischen Studenten hilfreich sein, in dem, in Anwesenheit eines*r geschulten Expert*in, über männlichen Privilegien, aber auch sie selbst und andere schädigende Männlichkeitsnormen und -vorstellungen diskutiert werden kann.

 

Universitärer Wandel? Nicht ohne Studierendenperspektive!

All diese Vorschläge setzen eine engmaschige Vernetzung aller universitären Instanzen, die sich der Überwindung von sexualisierter Gewalt, Belästigung und Diskriminierung an Hochschulen widmen, voraus – wichtig ist, die studentische Perspektive immer zum Ausgangspunkt aller Aktivitäten zu machen und somit, neben der Einbeziehung des Astas und studentischer Gleichstellungsbeauftragter, immer wieder Umfragen und Feedbackrunden zu veranlassen. Denn: Eine Universität ohne die genannten Formen der Unterdrückung und Ungleichheiten setzt die Einbeziehung der Perspektiven all ihrer Mitgliedergruppen voraus.

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