Mythos Minirock – warum du als betroffene Person keine Verantwortung trägst

In ihrer aktuellen Ausstellung „A History of Misogyny, Chapter Two: On Rape“ (Eine Geschichte der Misogynie, Kapitel Zwei: Zu Vergewaltigung) stellt die spanische Künstlerin Laia Abril in Paris Fotografien von Kleidungsstücken aus, die Menschen getragen haben, während sie vergewaltigt wurden: die Zuschauer*innen sehen eine Militäruniform, ein Nonnengewand oder auch die Schuluniform eines 5-jährigen Mädchens.

Die Ausstellung kann als Einspruch gegen einen sich immer noch hartnäckig haltenden Mythos verstanden werden, der besagt, knappe und „sexy“ Kleidung provoziere sexualisierte Belästigung und Vergewaltigung. Durch die Suche nach Verantwortlichkeit oder einer Mitschuld bei den Betroffenen findet eine „Täter-Opfer-Umkehr“ statt (Victim Blaming). Betroffene von sexualisierten Gewalttaten sollen Rechenschaft darüber ablegen, warum sie einen Minirock getragen, einen bestimmten Heimweg benutzt oder sich nicht laut genug gewehrt haben.

Warum beschuldigen wir die Betroffenen?

Es drängt sich die Frage auf, warum bei Vergewaltigung im Gegensatz zu anderen Straftaten nach einer Mitschuld der Betroffenen gesucht wird. In ihrem Vortrag auf dem „Infotag gegen sexuelle Belästigung“ (05.02.2020) des FSK Geschichte der RUB sprach die Geschichtsprofessorin Dr. Maren Lorenz über die Verhandlung des Deliktes der sexuellen Belästigung und Vergewaltigung im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Für Frauen gab es entweder die Rolle der „Heiligen“ oder die der „Hure“, sagt Lorenz. Um den Status der „Heiligen“ zu bewahren und das „eigene Kapital [Körper und die damit verbundene Ehre] nicht zu beschädigen“, mussten Frauen sich kontinuierlich gegen „männliche Avancen“ zur Wehr setzen. Das heißt, die Frauen selbst trugen eine Mitverantwortung an der Erhaltung ihres (jungfräulichen) Status und auch ihrer Sicherheit. Auch wenn das Jungfrauendasein und der Ehrbegriff immer mehr an Bedeutung verlieren (ich beziehe mich hierbei auf Deutschland), beeinflussen diese Mythen und die damit verbundenen Normen und Ansprüche in Form von Victim Blaming und Slutshaming das (vergeschlechtliche) Selbstverständnis von Menschen und ihren Umgang mit Sexualität.

Ist Victim Blaming also ein Ergebnis einer mittelalterlichen Geschlechterordnung und damit, mit anderen Worten, nicht mehr zeitgemäß?

 

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Abrils Ausstellung gibt auf diese Frage keine Antwort. Mit eindrucksvollen als auch beklemmenden Fotos stößt sie jedoch die Dekonstruktion dieses Mythos an. Die Aufrechterhaltung des Narrativs der provozierenden Kleiderwahl geht Hand in Hand mit dem Geschlechterstereotypen der (sexuellen) Unkontrollierbarkeit des männlichen Geschlechts: Männer als „Wilde“, Männer als „Tiere“. Frauen sollen sich verdecken, um Männer nicht zu provozieren, denn Männer, so impliziert diese Logik, lassen sich leicht erregen und haben sich im Anblick dieser vermeintlichen Reize nur schwer im Griff.

Wie wollen wir miteinander leben?

Das Verharren in mittelalterlichen Denkmustern ist unvereinbar mit den Werten des Grundgesetzes und unserer Lebensrealität, die durch Diversität gekennzeichnet ist. Die beschriebenen Mythen und die damit verbundenen Vorurteile bieten keine Basis für ein respektvolles Miteinander, sondern schaden stattdessen allen Geschlechtern. Insbesondere bei einer Vergewaltigung, also einem schweren Eingriff in körperliche Integrität eines Menschen, ist es perfide, bei Betroffenen zum Beispiel aufgrund ihrer Kleidung eine Mitschuld zu suchen und schürt das Risiko einer Retraumatisierung.

Was können wir also tun, um eine „Täter-Opfer-Umkehr“ (Victim Blaming) zu verhindern?

  • Den Betroffenen glauben und ihre Erfahrung nicht in Frage stellen (statt zu sagen „Vielleicht hat er*sie es nicht so gemeint.“).
  • Denn: Die Verantwortung für den Übergriff liegt nie bei den Betroffenen, das heißt, sie müssen sich nicht dafür rechtfertigen.
  • Im Rahmen der eigenen Ressourcen Hilfe anbieten (bei akuten Fällen ins Krankenhaus (Anonyme Spurensicherung) oder zur Polizei begleiten, Beratungsstellen raussuchen oder emotionale Unterstützung leisten).
  • Wenn du mit der Situation überfordert bist, kannst du dich auch selbst an Beratungsstellen wenden und dir dort Hilfe suchen.
  • Menschen, die Victim Blaming betreiben, darauf hinweisen, um diese Vorwürfe nicht unwidersprochen stehen zu lassen und so diskriminierendem Verhalten keinen Raum zu geben.

 

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