Schon mal von Intersektionalität gehört?

„Es sind nicht unsere Unterschiede, die uns entzweien. Es ist unsere Unfähigkeit, diese Unterschiede zu erkennen, zu akzeptieren und zu feiern.“

(Original: „It is not our differences that divide us. It is our inability to recognize, accept, and celebrate those differences.‘)

Audre Lorde

 

„Ich sehe keine Hautfarbe. Ich sehe nur Menschen“ – vielleicht hast du diesen Satz schon mal gehört oder selber gesagt? Dieser Satz wird gewöhnlich von weißen* Menschen genutzt, um ihre antirassistische Haltung zu untermauern. Klar, die Intention dahinter ist gut, aber letztendlich werden durch ihn Lebensrealitäten von Menschen unsichtbar gemacht wie zum Beispiel von Schwarzen* Menschen, die bis heute aufgrund ihrer Hautfarbe Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren.

Das Zitat der Dichterin und Feministin Audre Lorde weist darauf hin, dass die verschiedenen Lebensrealitäten und (Diskriminierungs-)Erfahrungen von Menschen erkannt und ernstgenommen werden müssen, um ernsthaft Solidarität zu praktizieren.

Menschen können aufgrund vielfältiger Faktoren Diskriminierung erfahren: z. B. Geschlechtsidentität, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Religion, Alter, Behinderung, Klasse. Diese Diskriminierungsformen können aber auch mit einander verwoben sein. Ein trans Frau, die einen Rollstuhl benötigt, wird in der Uni andere Erfahrungen machen als ein cis Mann.

In der Wissenschaft wird in dem Fall auch von Intersektionalität gesprochen: damit wird auf die Wechselbeziehungen und Überlagerungen verschiedener Achsen der sozialen Ungleichheit und den daraus hervorgehenden spezifischen (Diskriminierungs-)Erfahrungen eingegangen. Die Rechtstheoretikerin Kimberlé Crenshaw prägte dafür den Begriff der Intersektionalität und mit ihm das Bild einer Straßenkreuzung, auf der sich ungleichheitsformende soziale Diskriminierungsverhältnisse schneiden und von denen Menschen daher sehr unterschiedlich betroffen sein können. Der Kampf für die Anerkennung von Differenz und Identität ist aber „so alt wie die Kämpfe gegen Versklavung und Kolonialismus“, schreibt die Soziologin Natasha A. Kelly. Schon 1851 stellte die Frauenrechtlerin Sojourner Truth in ihrer Rede bei der Womens Convention in Akron, Ohio, die Frage „Ain’t I a Woman?“ Bin ich keine Frau? Sie kritisierte unter anderem die Tatsache, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts kein Wahlrecht besaßen, und die Präsenz von Rassismus und Klassenunterdrückung innerhalb der Frauenbewegung selbst.

„Wissenschaftlich betrachtet ist Intersektionalität ein soziologisches Konzept, das erlaubt, Identität als vielschichtiges Konstrukt zu verstehen. Im Gegensatz zu Queer Theory, die Identitätskategorien an sich infrage stellt, funktioniert die Intersektionalitätstheorie wie ein Prisma, durch das einzelne Kategorien und ihre Verbundenheit miteinander betrachtet werden können.“ (Natasha A. Kelly 2017)

Mithilfe einer intersektionalen Perspektive können eindimensionale Analysen von Ungleichheit überwunden, Unterschiede und Identitäten anerkannt und gesellschaftliche Herrschaftsstrukturen sichtbar gemacht werden.

„Nicht gesehen werden, nicht gehört zu werden, ist unerträglich. Weil es unsere Menschlichkeit infrage stellt.“ (Emilia Roig 2021). 

Um Veränderung anzustoßen und Solidarität auszuüben, ist es notwendig, verschiedene Erfahrungen und Lebensrealitäten anzuerkennen, die eigene Verwobenheit in bestehende Herrschaftsstrukturen und die damit verbundenen Privilegien zu reflektieren und letztendlich am Abbau von Sexismus, Rassismus, Behindertenfeindlichkeit und anderen Diskriminierungsstrukturen mitzuwirken.


*Weißsein und Schwarzsein stehen nicht für biologische Eigenschaften oder gar reelle Hautfarben. Vielmehr soll durch diese Schreibweisen die politische und soziale Konstruktion kenntlich gemacht werden.

Schwarze Menschen ist eine politische Selbstbezeichnung und wird aus diesem Grund immer großgeschrieben. Diese Schreibweise verweist auf die gemachten Rassismuserfahrungen von Menschen. Auch hier geht es wieder nicht um biologische Eigenschaften oder eine Farbbezeichnung.

Weiße Menschen wird kursiv und im Satz kleingeschrieben. Diese Schreibweise verweist auf eine privilegierte Position innerhalb unserer Gesellschaft, die durch Rassismus strukturiert ist. Sie macht außerdem sichtbar, dass Weißsein keine ‚natürliche‘ Kategorie ist, sondern sozial konstruiert.

Wenn du mehr über das Thema Intersektionalität lernen möchtest, schau doch mal in unserem virtuellen Selbstlernkurs vorbei.

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